Die neue Richtlinie bezieht nun auch Dienstleistungen mit ein, die bislang unter die allgemeinen Bestimmungen des Vertrags von Lissabon fielen. Danach müsste künftig grundsätzlich die Vergabe aller Dienstleistungen im Bereich der Daseinsvorsorge europaweit ausgeschrieben werden. Dies hätte besonders starke Auswirkungen auf die Trinkwasserdienstleistungen. Ausnahmen von der Richtlinie sind u.a. für kommunale Unternehmen und Zweckverbände, in denen sich mehrere Kommunen zusammengeschlossen haben, vorgesehen.
Wasserprivatisierung durch die Hintertür
Diese Ausnahmen für die europaweite Ausschreibung ist allerdings an Bedingungen geknüpft, die die meisten kommunalen Stadtwerke nicht erfüllen können:
1. Eine Dienstleistungskonzession muss nicht ausgeschrieben werden, wenn sie an ein mit der Kommune verbundenes Unternehmen vergeben wird, das 80 % seines Umsatzes mit den von ihm angebotenen Dienstleistungen in einer Kommune erwirtschaftet. Bei Stadtwerken, die ausschließlich Wasserversorgung für eine Gemeinde anbieten, kann diese Bedingung in der Regel erfüllt werden. Meistens werden allerdings mehrere Städte und Gemeinden durch ein Unternehmen versorgt, so dass sich der Umsatz überregional verteilt. Dies gilt vor allem für Stadtwerke, die als Mehrspartenunternehmen, zum Beispiel auch Energieversorgung anbieten. Auf dem liberalisierten Energiemarkt entscheiden die Verbraucherinnen und Verbraucher, von welchem Anbieter die Energie beziehen wollen. Um diese Bedingung im Bereich der Wasserversorgung zu erfüllen, wäre also die Trennung der Sparten notwendig. Das würde einen höheren Verwaltungsaufwand bedeuten und teilweise Doppelstrukturen schaffen. Das führt zu zusätzlichen Kosten für die meist bereits verschuldeten Kommunen.
2. In Bezug auf die interkommunale Kooperation z.B. in Form von Zweckverbänden verlangt die Richtlinie ebenfalls, dass die 80 % des Umsatzes in den Kommunen erbracht wird. Auch hier wird diese Bedingung von bestehenden Kooperationen nicht erfüllt.
3. Eine weitere Bedingung ist, dass es keine privaten Anteile an den Unternehmen gibt. Oft halten Private in Städten und Gemeinden jedoch bereits Minderheitsanteile an Stadtwerken. Die Richtlinie sieht vor, dass in diesem Fällen auch laufende Konzessionen für den Wettbewerb geöffnet werden müssen. Für bestehende langfristige Verträge, die oft über die Umsetzungsfrist der Richtlinie hinausgehen bedeutet dies, dass die Städte und Gemeinden sich teuer aus dem Vertrag herauskaufen müssten, oder neue, europaweite Ausschreibungen machen müssten.
Ausverkauf von Kommunen
Wenn der Entwurf zur Vergaberichtlinie tatsächlich verabschiedet wird, hätte das verheerende Auswirkungen auf die Kommunen. Die Pflicht zur europaweiten Ausschreibung für die Vergabe von Versorgungsdienstleistungen führt nicht direkt zu einer Privatisierung. Allerdings käme es deutschlandweit bei etwa 800 Stadtwerken, die rund 50 % der Wasserversorgung bereitstellen zu Ausschreibungen. Dies erhöht den Druck, besonders auf wirtschaftlich schwache Kommunen und begünstigt die Vergabe von Konzessionen an private Unternehmen.
In Nordrhein-Westfalen ist davon auszugehen, dass von den etwa 180 Stadtwerken in öffentlicher Hand 150 betroffen wären, da die meisten Anteile an Private vergeben haben, auch überregional Dienstleistungen erbringen oder mit anderen Städten und Gemeinden in Zweckverbänden kooperieren.
Welche Folgen die Trinkwasserprivatisierung haben kann, zeigt das Beispiel der portugiesischen Gemeinde Pacos de Ferreira, in der im Rahmen der Bedingungen des EFSF/ESM privatisiert wurde. Hier kam es bislang zu einer Preissteigerung von 400%. Auch die notwendige Neuverhandlung der Vertragsbedingungen zwischen Berlin und dem Wasserversorger Veolia zeigen die erheblichen negativen Auswirkungen, die die Privatisierung der Wasserversorgung nach sich zieht. Einmal privatisiert, verlieren Kommunen oftmals die politische Steuerung über privat vergebene Aufgaben. Eine Rekommunalisierung der Aufgabe wird oftmals sehr teuer. Das Argument, der Verkauf helfe den Kommunen beim Schuldenabbau ist ein Mythos, denn gerade verschuldete Städte verkaufen ihre Infrastrukturen weit unter Wert. In der Folge der Privatisierung steigen die Kosten, die für sozialen Ausgleich fällig werden. Hier entstehen also zusätzliche Kosten für die Bürgerinnen und Bürger, ohne dass ihr Recht auf demokratische Mitbestimmung gewährleistet wird.
Stand des Verfahrens
Momentan wird der Richtlinienentwurf im EU-Parlament diskutiert. Er wurde am 25.02.2013 durch den federführenden EU-Parlamentsausschuss IMCO (Binnenmarkt und Verbraucherschutz) befürwortet. Am 20./21.02.2013 auf der nächsten Sitzung des IMCO wird ein Beschluss gefasst werden, der bestimmt, ob es bei der Richtlinie zu einer Aussprache im Plenum des EU-Parlaments kommen wird, oder auf Basis des Ausschuss-Beschusses vom Januar direkt zwischen Kommission, Parlament und Rat verhandelt wird.
Europäische Solidarität
Europaweit werden Stimmen laut, die sich gegen diese Vergaberichtlinie aussprechen. Es gibt Widerstand beispielsweise von den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern aus Amsterdam, Brüssel, Kopenhagen, Gent, Neapel, Paris und Wien. Auch die Region Sevilla und die Stadtwerke Karlsruhe haben sich gegen die Privatisierung der Wasserversorgung ausgesprochen.
Bislang haben nur die EU-Fraktion der Linken und der Grünen im Parlament eindeutig Stellung gegen die Richtlinie bezogen. Ablehnung kam auch von deutschen Abgeordneten der CDU, die deutschen Sozialdemokraten dagegen sind gespalten. Nachdem sich der EU-Parlamentsausschuss für Verbraucherschutz und Binnenmarkt dafür ausgesprochen hat, ist es nun besonders wichtig, dass es im Parlament zu einer Aussprache kommt. Wünschenswert wäre eine Ablehnung der Richtlinie, zumindest aber, dass die Wasserversorgung aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie genommen wird.
Eine europäische BürgerInneninitiative fordert das Menschenrecht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung für alle Menschen in der EU ein. Kernforderungen sind 1. die Anerkennung des Rechts auf Wasser und sanitäre Grundversorgung durch die EU-Institutionen, 2. der Ausschluss von Wasserversorgung und Wassermanagement von der Liberalisierung und 3. verstärkte Maßnahmen der EU, um einen universellen Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung zu gewährleisten. Bislang wurden über 1 Million Unterschriften gesammelt.
Ziel sind 2 Millionen bis Herbst 2013 und die Erreichung des Quorums für die Europäische Bürgerinitiative in möglichst vielen Mitgliedsländern der EU. http://www.right2water.eu/de
Wasserversorgung gehört nicht in private Hände!
Wir lehnen die Richtlinie ab! In Bezug auf die öffentliche Vergabe von Konzessionen, besteht kein Regelungsbedarf durch die EU. Auf keinen Fall dürfen Wasser- und Abwasserdienstleistungen einbezogen werden. Regionale und kommunale Bedürfnissen kann nicht auf europäischer Ebene entsprochen werden. Die interkommunale Zusammenarbeit von Kommunen schafft Effizienzgewinne und muss gefördert, statt eingeschränkt werden. Deshalb ist es wichtig, dass sich Stadträte jetzt zu einer Wasserversorgung durch die öffentliche Hand bekennen und entsprechende Beschlüsse verabschieden. Auf allen Ebenen ist die BürgerInneninitiative zu unterstützen und ihre Anliegen zu fördern!
Quelle des Artikels: http://www.sven-giegold.de/wp-content/uploads/2013/02/Hintergrundinfo_Wasser.pdf
Linksammlung
Richtlinienentwurf:
http://ec.europa.eu/internal_market/publicprocurement/docs/concessions/conc_act_de.pdf
EBI: Right2Water
Auf der Seite der Kommission
http://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/initiatives/ongoing/details/2012/000003
Aufruf Heide Rühle
http://www.heide-ruehle.de/heide/fe/pub/de/dct/895
Wasser in Bürgerhand e.V.
http://www.wasser-in-buergerhand.de
Stellungnahmen Heide Rühle
http://www.heide-ruehle.de/heide/fe/pub/de/dct/917
Britta Haßelmann
http://britta-hasselmann.de/kommunales/kommunales/nachricht/bundesregierung-forciert-privatisierung-der-wasserversorgung-durch-die-hintertuer.html
Offizielles
Entschließung des Parlaments 03.07.2012
http://www.europarl.europa.eu/news/de/pressroom/content/20120703IPR48189/html/Europ%C3%A4isches-Parlament-schl%C3%A4gt-Plan-zum-Schutz-der-Wasserressourcen-vor
Anfrage Heide Rühle u.a. 02.10.2012
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2f%2fEP%2f%2fTEXT%2bWQ%2bE-2012-008837%2b0%2bDOC%2bXML%2bV0%2f%2fDE&language=DE
Brief von Philipp Rösler an Britta Haßelmann 02.05.2012
http://britta-hasselmann.de/kommunales/kommunales/nachricht/vergaberecht-kommunale-handlungsfaehigkeit-in-gefahr.html
Hintergrundinformationen
Auswirkungen der Reform des Vergaberechts auf die Kommunen
http://britta-hasselmann.de/fileadmin/user_upload/gruene_btf_hasselmann/fotos/britta/130131HintergrundinfoReform_des_VergaberechtsKommunen2.pdf
Studie zu Privatisierung und Sparpolitik in Europa
http://www.blueplanetproject.net/documents/RTW/RTW-Europe-1.pdf
Bank für Sozialwirtschaft, Monitoring-Bericht
http://www.eufis.eu/fileadmin/Dokumente/GesperrterBereich/Aktuelle_Politikprozesse/Konzessionsrichtlinie_02.pdf
Heide Rühle: Brauchen wir überhaupt eine Vergaberichtlinie? Oktober 2012
http://www.heide-ruehle.de/heide/fe/pub/de/dct/911
http://www.heide-ruehle.de/heide/fe/pub/de/dct/915
WDR Monitor: 13.12.2012
http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2012/1213/wasser.php5