Die Diskussionen in dieser Frage werden verständlicherweise sehr emotional geführt, doch wie hilfreich ist das auf der Suche nach Lösungen und wäre diese Aufgabe auf sehr sachliche Weise viel effektiver zu lösen? Wer will und kann aber angesichts des großen Leids und der immensen Not Ängste, Befürchtungen und auch Mitgefühl wirklich auf ein vernünftiges Maß herunterschrauben und wie sieht es aus, das „vernünftige Maß“? Es reicht einfach nicht, Zahlen und Fakten heranzuziehen, um alle Besorgnisse der Bevölkerung zu eliminieren, es hilft nicht weiter, in Schubladen zu kategorisieren und ist darüber hinaus kontraproduktiv, weil viele Menschen aus Angst vor jeglicher Kategorisierung ihre Meinungen nur noch denken.
Wie groß ist unsere Hilfsbereitschaft eigentlich wirklich und wo sind die Grenzen? Moralisch betrachtet dürfte es keine Grenzen geben doch nüchtern gesehen hat es diese schon immer gegeben. Diese „unmenschlichen“ Grenzen könnte man mit der Nähe zur Not umschreiben. Berührt uns die Not im wahrsten Sinne des Wortes „Nähe“, wächst gleichermaßen unsere Hilfsbereitschaft. Ist sie weit entfernt, verdrängen wir. Oder warum leiden rund 870 Millionen Menschen weltweit Hunger? Warum verhungern jedes Jahr 8,8 Millionen Menschen oder etwas plastischer ausgedrückt, warum muss alle drei Sekunden ein Mensch – und sehr häufig sind es Kinder – an Hunger sterben? Wie groß wäre unsere Hilfsbereitschaft, wenn die Flüchtlinge nicht an unsere, sondern an eine weit entfernte Tür klopfen würden? Könnten wir tatsächlich allen notleidenden Menschen helfen, täten wir es dann auch? Ist hier die nächste Grenze erkennbar? Endet unsere Hilfsbereitschaft dort, wo die Umverteilung merkbaren Verzicht bedeutet?
Wie auch immer jeder für sich diese Fragen beantworten wird; es gibt nur in wenigen Ausnahmen grenzenlose Hilfsbereitschaft. Dies festzustellen klingt grausam, stellt aber die Realität so dar, wie sie tatsächlich ist. Die derzeit gelebte Hilfsbereitschaft in unserem Land ist so großartig, dass man sich nur wünschen kann, sie auch dauerhaft auf diesem Niveau halten zu können. Und genau deshalb gilt es auch, die eigenen Kräfte und Ressourcen nicht zu überschätzen und sich der Grenzen bewusst zu werden. Unwürdige Massenunterkünfte wie beispielsweise Container, Zelte und Turnhallen sind keine adäquaten Dauerlösungen, Wohnungen aber begrenzt und nicht schritthaltend mit dem Zustrom erstellbar. Hier müssen schnell Lösungen erarbeitet werden, die auch geeignet sind, das Leid und die Not zu lindern, die auch den helfenden Menschen das Signal geben, wirklich helfen zu können und sie nicht überfordern.
Auch deshalb müssen Prioritäten festgelegt werden und zuerst den Menschen geholfen werden, die vom Tod bedroht sind und denen, die kein Zuhause mehr haben, weil es schlichtweg weggebombt wurde. Um die Grenzen der Hilfsbereitschaft möglichst weit auszudehnen um somit die Anzahl der Notleidenden zu verringern, muss die Verteilung in Europa gerecht und unter Beachtung der jeweiligen Leistungsbereitschaft auf möglichst viele Schultern erfolgen. Die, die vergleichsweise viel haben, könnten mehr geben; die, die wenig haben, entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit. Wenn dieses Gleichgewicht möglichst gerecht beachtet wird, könnte man die größtmögliche Hilfsbereitschaft lange Zeit bewahren. Das bedeutet jedoch auch, dass es ohne Organisation des Gleichgewichts keine Gerechtigkeit geben kann. Deshalb ist es geradezu zwingend, neben der Versorgung auch die Registrierung der Notleidenden vorzunehmen und sie anschließend dort unterzubringen, wo die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft ihre Grenzen noch nicht erreicht hat. Selbstverständlich sollten auch andere Kriterien, wie z.B. die Familienzusammenführung und andere Wünsche berücksichtigt werden. Aber auch hier können Grenzen erreicht werden, nämlich dann, wenn sich die Wünsche nur auf wenige Länder konzentrieren. Dann ist es nicht unmenschlich sondern notwendig, die erarbeiteten Regeln auch umzusetzen.
Entsprechend müssen die Länder verfahren, wenn es um die Verteilung auf die Gemeinden geht. Da Wohnungen knapp sind, macht es durchaus Sinn, diese an Menschen zu vergeben, die auch eine Perspektive haben, bleiben zu dürfen. Hier darf und kann nicht gelten: wer zuerst kommt … sondern hier muss beachtet werden, dass eine möglichst schnelle Integration bei knappen Ressourcen eine andere Priorität nicht zulässt.
Und so unmenschlich wie es sich auch anhört und so imaginär die Grenzen auch gesteckt sind; Erstaufnahmelager, Differenzierung und Abschiebung hin oder her: Nur Prioritäten und Regeln führen zu einer maximalen Unterstützung notleidender Menschen unter Berücksichtigung des Härtegrads. Dass dabei wahrscheinlich die Menschen auf der Strecke bleiben, die sich ein besseres Leben in unseren Ländern erhoffen, ist schlimm und emotional betrachtet grausam doch ließe sich das nur durch die Verschiebung unserer Grenzen der Hilfsbereitschaft nachhaltig verbessern. Dann aber müssen wir uns zunächst einmal wieder vor Augen führen, dass alle 3 Sekunden ein Mensch verhungert und abwägen, wo wir dann erneut ansetzen sollten.
Vielleicht wird jetzt der ein oder andere denken, dass man doch allen Menschen helfen muss, die an unsere Tür klopfen oder das es mal wieder typisch deutsch ist, alles regeln beziehungsweise reglementieren zu wollen. Dem möchte ich aber entgegenhalten, dass Regularien auch dem Schutz von Menschen dienen und die gute Absicht dahinter, möglichst vielen Menschen effektiv helfen zu wollen, nicht vergessen werden darf. Denken sie dabei doch beispielsweise einmal über die Regeln „Erstmaßnahmen am Unfallort“ nach, auch wenn das Bild vielleicht nicht sonderlich passend erscheint. Sie dienen dem Schutz der Opfer ohne den Eigenschutz der Helfer aus dem Auge zu verlieren. Die sogenannte Rettungskette ist eine absolut sinnvolle Aneinanderreihung von Maßnahmen und ja, es sind Regeln; Na und? Und nur beiläufig: selbstverständlich geht den lebensrettenden Sofortmaßnahmen der Eigenschutz voraus. Das macht doch auch Sinn. Fallen die Helfer aus, haben die Opfer verloren.
Jetzt gilt es, die großartige Hilfsbereitschaft und das riesige Engagement der Helfenden zur unterstützen und vor allen Dingen zu erhalten, haben sie doch durch ihr Handeln den kleingeistigen Brandstiftern in Wort und Tat die einzig richtige Antwort gegeben.